Wer möchte im Ernst unsterblich sein? Wer möchte bis in alle Ewigkeit leben? Wie langweilig und schal es sein müsste zu wissen: Es spielt keine Rolle, was heute passiert, in diesem Monat, diesem Jahr: Es kommen noch unendlich viele Tage, Monate, Jahre. Unendlich viele, buchstäblich. Würde, wenn es so wäre, noch irgend etwas zählen? Wir bräuchten nicht mehr mit der Zeit zu rechnen, könnten nichts verpassen, müssten uns nicht beeilen. Es wäre gleichgültig, ob wir etwas heute tun oder morgen, vollkommen gleichgültig. Millionenfache Versäumnisse würden vor der Ewigkeit zu einem Nichts, und es hätte keinen Sinn, etwas zu bedauern, denn es bliebe immer Zeit, es nachzuholen. Nicht einmal in den Tag hinein leben könnten wir, denn dieses Glück zehrt vom Bewusstsein der verinnenden Zeit, der Müßiggänger ist ein Abenteurer im Angesicht des Todes, ein Kreuzritter wider das Diktat der Eile. Wenn immer und überall Zeit für alles und jedes ist: Wo sollte da noch Raum sein für die Freude an Zeitverschwendung?
Ein Gefühl ist nicht mehr dasselbe, wenn es zum zweitenmal kommt. Es verfärbt sich durch das Gewahren seiner Wiederkehr. Wir werden unserer Gefühle müde und überdrüssig, wenn sie zu oft kommen und zu lange dauern. In der unsterblichen Seele müsste ein gigantischer Überdruss anwachsen und eine schreiende Verzweiflung angesichts der Gewissheit, dass es nie enden wird, niemals. Gefühle wollen sich entwickeln, und wir mit ihnen. Sie sind, was sie sind, weil sie abstoßen, was sie einst waren, und weil sie einer Zukunft entgegenströmen, wo sie sich von neuem von sich selbst entfernen werden. Wenn dieser Strom ins Unendliche flösse: Es müssten in uns tausendfach Empfindungen entstehen, die wir uns, gewohnt an eine überschaubare Zeit, überhaupt nicht vorstellen können. So dass wir gar nicht wissen, was uns versprochen wird, wenn wir vom ewigen Leben hören. Wie wäre es, in Ewigkeit wir zu sein, bar des Trostes, dereinst erlöst zu werden von der Nötigung, wir zu sein? Wir wissen es nicht, und es ist ein Segen, dass wir es nie wissen werden. Denn das eine wissen wir doch: Es wäre die Hölle, dieses Paradies der Unsterblichkeit.
Es ist der Tod, der dem Augenblick seine Schöheit gibt und seinen Schrecken. Nur durch den Tod ist die Zeit eine lebendige Zeit. Warum weiß das der HERR nicht, der allwissende Gott? Warum droht er uns mit einer Endlosigkeit, die unerträgliche Ödnis bedeuten müsste.
Es war, als sei die Zukunft schon geschehen - als sei sie in meinem Erschrecken als bereits bestehende Tatsache enthalten, und nun würde es nur noch darum gehen, dass sie sich zeitlich ausbreitete.
Der Geist, er ist ein charmanter Schauplatz von Selbsttäuschungen, gewoben aus schönen, besänftigenden Worten, die uns eine irrtumsfreie Vertrautheit mit uns selbst vorgaukeln, eine Nähe des Erkennens, die uns davor feit, von uns selbst überrascht zu werden. Wie langweilig wäre es doch, in solch müheloser Selbstgewissheit zu leben.
Doch was ich bin, bin ich zufällig.
... aber es gehe ja um das jetzige, lebendige Bewusstsein, dass das Leben unabgeschlossen bleiben werde, bruchstückhaft und ohne die erhoffte Stimmigkeit. Dieses Wissen, das sei das Schlimme - die Angst vor dem Tod eben.
Das taghelle Bewusstsein der Endlichkeit ...
Das Leben ist nicht das, was wir leben; es ist das, was wir uns vorstellen zu leben.
Enttäuschung gilt als Übel. Ein unbedachtes Vorurteil. Wodurch, wenn nicht durch Enttäuschung, sollten wir entdecken, was wir erwartet und erhofft haben? Und worin, wenn nicht in dieser Entdeckung, sollte Selbsterkenntnis liegen? Wie also sollte einer ohne Enttäuschung Klarheit über sich selbst gewinnen können?
Einer, der wirklich wissen möchte, wer er ist, müsste ein ruheloser, fanatischer Sammler von Enttäuschungen sein, und das Aufsuchen enttäuschender Erfahrungen müsste ihm wie eine Sucht sein, die alles bestimmende Sucht seines Lebens, denn ihm stünde mit großer Klarheit vor Augen, dass sie nicht ein heißes, zerstörerisches Gift ist, die Enttäuschung, sonder ein kühler, beruhigender Balsam, der uns die Augen öffnet über die wahren Konturen unserer selbst.